Mittwoch, 14. März 2012

Falsa demonstratio nocet

Es gibt so Tage, an denen ich an meinen juristischen Fähigkeiten zweifele. Zum Beispiel heute, als ich zwei Antworten auf dem Portal "frag-einen-anwalt.de" las.

Hier erklärt eine Anwältin, die immerhin Strafrecht zu ihren ausgewiesenenTätigkeitsfeldern zählt, man müsse einer Vorladung zur Polizei Folge leisten.

Hmmm...

Nein.

Dafür gibt es nämlich einmal mehr keine Grundlage in der Strafprozessordnung. Völlig egal, ob man Zeuge oder Beschuldigter ist.

§ 161a Strafprozessordnung

(1) Zeugen und Sachverständige sind verpflichtet, auf Ladung vor der Staatsanwaltschaft zu erscheinen und zur Sache auszusagen oder ihr Gutachten zu erstatten. [...]

Wir erkennen einmal mehr mit textsicherer einfacher Wortlautauslegung: Die Polizei ist nicht die Staatsanwaltschaft und deswegen muss dort auch niemand (in einem Strafverfahren) eine Aussage machen.

Wieso nun die Kollegin für doch ein bißchen Geld öffentlich etwas anderes, schlicht falsches, erzählt, wird wohl ihr Geheimnis bleiben.


Etwas kompliziertes ist schon Fall 2:

Der Fragesteller schildert, wiederum auf "frag-einen-anwalt.de" einen Fall möglicher anwaltlicher Pflichtverletzung und fragt nach seinen Schadensersatzansprüchen.

Der Anwalt antwortet unter anderem:

Zum einen müssen Sie zunächst einmal das Verschulden der Kanzlei S beweisen. Dies allein könnte schon durchaus problematisch sein, wenn sich diese erfolgreich darauf beruft, dass es sich bei dieser Fristsäumnis um ein einmaliges Versagen einer ansonsten immer zuverlässigen Angestellten handelt (sogenannte Exculpation).



Ähm, eher nicht.

Zwischen dem Fragesteller und der Kanzlei S besteht nämlich ein Vertragsverhältnis. Und dann gilt § 278 Bürgerliches Gesetzbuch:

Der Schuldner hat ein Verschulden seines gesetzlichen Vertreters und der Personen, deren er sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient, in gleichem Umfang zu vertreten wie eigenes Verschulden. Die Vorschrift des § 276 Abs. 3 findet keine Anwendung.

Die "Exculpation" ist dagegen in § 831 BGB geregelt:

1) Wer einen anderen zu einer Verrichtung bestellt, ist zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den der andere in Ausführung der Verrichtung einem Dritten widerrechtlich zufügt. Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Geschäftsherr bei der Auswahl der bestellten Person und, sofern er Vorrichtungen oder Gerätschaften zu beschaffen oder die Ausführung der Verrichtung zu leiten hat, bei der Beschaffung oder der Leitung die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet oder wenn der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden sein würde.

Sie gilt nur ausserhalb von Vertragverhältnissen.


Wenn also der Bäckerazubi morgens mit dem Lieferwagen beim Brötchen-Ausfahren einen fremden Fußgänger umfährt, kann sich der Meister auf § 831 Abs. 1 Satz 2 ff. BGB berufen, sofern er seinen Azubi sorgfältig ausgewählt und überwacht hat. Denn der Azubi ist zwar für den Meister zur "Ausführung der Verrichtung" bestellt, der fremde Fußgänger ist aber "nur" Dritter im Sinne des Gesetzes.

Fährt der Azubi aber einen Kunden um, haftet der Meister aus § 278 Abs. 1 BGB, weil zwischen dem Kunden und dem Bäckermeister ein Vertrag bestand und der Meister dann "Schuldner" und der Azubi eine "Person, deren er sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient" ist.

Eigentlich ganz einfach, oder? Nein, nicht ernstlich, aber mit zwei juristischen Staatexamen in der Tasche sollte man das schon drauf haben.

Mir ist nun nur nicht ganz klar, wieso gestandene Rechtsanwälte auf "frag-einen-anwalt.de" Fragen öffentlich (!) und entgeltlich (!) falsch beantworten, die eigentlich ein Jurastudent im dritten Semster aus dem eff-eff beherschen müßte. Das es im Fall 2 gerade um eine Frage wegen der Haftung eines Rechtsanwaltes geht, gibt dem Ganzen noch einen zusätzlichen Kick.


Oh, oh, kurz vor sieben. Jetzt aber wacker die letzte Akte vom Schreibtisch schaffen...